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Winterfeuer
An alpine first ascent at  Steinplatte.

Es ist 1:45 Uhr, der Wecker klingelt. Ich ziehe mich an, schnappe meinen Rucksack und laufe zum Auto. Auf dem Weg sammle ich noch David ein und schon geht's in Richtung Valsertal. Unser Ziel: Sagwand Nordpfeiler. Selten hatte ich eine Tour so lange im Kopf und habe mir so viele Gedanken darüber gemacht. Wenig Begehungen, ein unbrauchbares Topo in einer unübersichtlichen Wand und stark unterschiedliche Schwierigkeitsbewertungen (5+ - 7a+) lassen viel Raum für Überraschungen und offene Fragen. Heute sollte es dann endlich so weit sein. Mit vielversprechenden Verhältnissen und einem starken Seilpartner stehen unsere Chancen gut. Schon am Parkplatz hat es -2 Grad. In Daunenjacke quälen wir uns aus dem Auto. Dann kommt die böse Überraschung: Einer meiner Bergschuhe fehlt – ich muss ihn wohl beim Einladen in Innsbruck fallen gelassen und übersehen haben. Ein paar grobe Flüche und die Idee, doch mit Zustiegsschuhen einzusteigen, später sind wir wieder auf dem Weg nach Innsbruck. Naja, hilft ja nichts. Ein neuer Plan muss her. Schnell umgepackt und nach einem kurzen Powernap machen wir uns um halb 10 auf Richtung Chinamauer. Noch auf dem Weg ändern sich die Pläne von der weit bekannten Locker vom Hocker zu Terrakottas Fluch, einer der wohl konsumentenfreundlicheren Touren, die uns Martin Feistl hinterlassen hat. Nach viel Arbeit und Verletzungen im letzten Jahr ist es die erste ernsthafte Mehrseillänge für mich. Gleichzeitig der erste richtige Klettertag nach fast einem Monat und so sind meine Ambitionen ziemlich gering. David supporten und wiedergutmachen, was ich in der Nacht verbockt habe, steht auf dem Programm. Dementsprechend überrascht lande ich im Vorstieg der ersten Seillänge und noch überraschter finde ich mich 15 wackelige Minuten später sturzfrei am ersten Stand.

Seillänge 1: 25m, 7b+, 6 BH
Vom Boden weg geht's leicht, bis zu einer Verschneidung, die man nach links verlässt. Schwerer werdend endet die Länge mit einem Plattenboulder kurz unterm Stand. Einmal wirklich extrem anstehen und schon ist es geschafft. Gar nicht mal so leicht, aber auch wirklich nicht so schwer wie erwartet.

David steigt nach und kann sich mit meiner Beta souverän den roten Punkt sichern. Damit haben wir wohl wirklich beide nicht gerechnet und steigen deswegen mit ganz neuer Motivation in Länge 2 ein.

Seillänge 2: 25m, 7a+, 4 BH + 1 äußerst fragwürdiger #.5
Vom Stand weg klettert man erst flach, dann steil, dann wieder flach, aber immer in leichtem Gelände bis zu einem lila Totem auf halber Strecke. Dieser steht zwar im Topo, ist aber wirklich alles andere als vertrauenserweckend und diente wohl eher dem mentalen Support beim Einbohren. Direkt danach dann auch ein Bolt und die Schlüsselstelle. Mal wieder über hüfthoch angestanden und schon findet man sich auf dem leichten Weg zum 2. Stand.

Seillänge 3: 25m, 6b, 4 BH

Länge vier ist dann endlich mal was für die Quergangsfanatiker. Nach ein paar leichten, leicht ansteigenden Metern in echter Hechenberg-Manier erwartet einen ein Abkletter-Boulder am 3. Haken. Wer hält und nicht gerade übermäßig Seil für Lower-Outs dabei hat, dem empfiehlt es sich, den Haulbag im Nachstieg bis hierher zu tragen und dann zum Stand abzulassen. Weiter zum Stand geht es leicht absteigend. Wer einen mental schwächeren Nachsteiger mitbringt, sollte dem hier wohl den Vortritt lassen. Letztendlich erreicht man den Stand mit einem effektiven Höhengewinn von -1m.

Seillänge 4: 30m, 6b+, 5 BH + „perfekter Cam“
Raus zur Kante queren und dann diese hoch – gar nicht mal so einfach, geht aber schon irgendwie. Oben dann in einem schmalen Riss. Über die Platte zum Stand. Gar nicht mal mehr so schwer, aber auch gar nicht mal so fest, aber jetzt auch nicht wirklich brüchig.

Seillänge 5: 25m, 7b, 4 BH
Mit steigender Höhe und damit minimiertem Grounder-Potential hat der Martin wohl auch seine mentale Leistungsfähigkeit beim Einbohren angepasst. Vom Stand geht’s etwas unbequem zum nahen ersten Bohrhaken. Von hier darf man dann das erste Mal in der Tour so richtig klettern. Nicht schwer, aber doch im Vergleich zur bisherigen Tour unerwartet lang darf zum nächsten Haken vor der Querung geklettert werden. Der ist dann genau so gesetzt, dass man ihn gerade so nicht mehr bequem vom Henkel klippen kann und sich schon mal ganz gut strecken muss. Ist zwar eigentlich nichts Besonderes, der letzte Monat krank sein und meine fehlende Fitness machen mir aber langsam zu schaffen und so entwickelt sich mein rechtes Bein so langsam zur Nähmaschine. Mit zitternden Beinen geht’s also weiter nach links bis unter die versprochene Schlüsselstelle. Hier kann man sich dann immerhin noch mal bequem ausruhen, bis es so richtig losgeht. Ein 10 cm breites Ledge lädt zur Pinkelpause und dem Ausziehen der Schuhe ein. Nach ein paar Haribo zur Stärkung und der Erkenntnis, dass mein Körper sich wohl heute nicht mehr beruhigen mag, mache ich mich dann auf zum Stand. Einfach nicht mehr schütteln. Ein bewegtes Bein kann nämlich schwer zittern. Zwei Mal klein angefasst, ein Mal weit aufgespannt und schon hängt man am Henkel an der Kante. Zwei Meter über einem der rettende Stand, 100 Meter darunter: Luft. Schon ziemlich geil ausgesetzt. Wenn man das ganze Jahr nur 6er klettert, kommt man selten in einen solchen Genuss.

Auch David holt sich die Länge solide im Nachstieg ab.

Seillänge 6: 30m, 7a, 7 BH
Zum Anfang gibt’s gleich mal einen kniffligen Plattenboulder. Danach wird’s zwar leichter, aber definitiv nicht leicht, aber dafür erst mal wieder ohne Haken. Hier fühlt man sich dann schon eher so, wie ich das von einer Feistl „Plaisir“ Tour erwartet habe. Ab dem nächsten Haken ist’s dann aber auch schon wieder ok. Mit halbwegs übrig gebliebener Hakenmenge klettert man über Platten, Verschneidungen und unter Dächer zum Stand. Wirklich nie ganz trivial und mit meinem alten, müden Körper noch weniger. Bis zum Stand zittere ich dann wieder so, dass ich den Vorstieg für die letzte Länge dankend abgebe.

Seillänge 7: 30m, 6c+, 5 BH + #.5 und #1
War wohl auch die richtige Entscheidung, bei meiner eher negativ behafteten Beziehung zu schlechtem Kalk hätte ich da schon noch mal zu kämpfen gehabt. Die Verschneidung gerade weg vom Stand verlässt man beim ersten Bohrhaken nach links und macht sich auf zu den bedeckten (dreckigen) Platten. Jetzt großblockig unterm Dach nach rechts bis zu den beiden eingezeichneten Cam Placements und der letzten Crux. Gut, dass wir den 1er Totem in weiser Voraussicht am Einstieg gelassen haben – geht aber auch so. Einmal wieder hoch ansteigen und ab zur Rettungsleiste. Die ist dann erstaunlich gut. Hier sind wir dann an dem Punkt, wo die Route auch hätte enden können. Ein Bohrhaken über einem Band lädt zum Stand ein. Doch nix gibt’s. Um die Tour in Erinnerung zu behalten, warten noch mal 10 Meter Sand, Bruch und Vegetation. Nie so richtig schlimm, aber halt auch echt nicht mehr schön zum Klettern. Auch alle Hechenberg-Fanatiker, die es bis hier geschafft haben, kommen auf ihre Kosten. Mit dem letzten bisschen Energie und der Erinnerung im Kopf, dass wir heute ja eigentlich was richtig Großes vorhatten, quäle ich mich zum Stand.

Flonsight für uns beide. Beim David bisschen stillreiner als bei mir, dafür immerhin die beiden Schlüssellängen vorgestiegen. Für mich schon eine wirklich große und echt schöne Überraschung nach dem Jahr, das nicht nur klettertechnisch so einige Tiefpunkte zu bieten hatte. Umso schöner, dass meine erste schwere Mehrseillänge endlich mal eine Tour vom Martin geworden ist.

Das Gipfelbuch ist dann erstaunlich reich gefüllt. Alles bekannte Namen und alle aus der gleichen DAV/Expedkader-Blase – war aber wohl auch klar ;)

Terrakottas Fluch: 190m, 7b+


Mehr Infos inkl. Feistl-Topo gibt’s auf bergsteigen.com

https://www.bergsteigen.com/touren/klettern/terrakottas-fluch-chinesische-mauer/

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